Alleine, im Rudel, bei Mutti, im Ehebett − wie wollen junge Leute heute wohnen? Wir haben viermal geklingelt und nachgefragt
Gemütlich räkelt sich Peter auf der elterlichen Couch und denkt über die Vorteile des Zuhause-Wohnens nach: „Es ist billig, der Kühlschrank ist immer voll und ich muss nur ein Zimmer putzen.“ Sein Vater nickt brummig dazu. Für ihn ist es keine Belastung, dass der jüngste Sohn mit seinen 18 Jahren noch zuhause wohnt, nachdem seine ältere Schwester direkt nach dem Abi die WG-Flucht ergriffen hatte.
Vor zwei Jahren, zu Beginn seiner Tischler-Lehre, stand Peter vor der Entscheidung, sich eine eigene Bleibe in der Nähe seines Betriebes zu suchen. Das hätte ihm die tägliche Anfahrtszeit von knapp einer Stunde erspart. Aber seine Mutter konnte ihn damals überzeugen, doch zuhause wohnen zu bleiben, bis er 18 wäre und selbst entscheiden könne. Und außerdem: „Wenn ich ginge, wäre die Wohnung hier für meine Eltern viel zu groß, sie müssten dann auch umziehen – und diese Entscheidung wollte ich nicht ohne sie treffen“, sagt Peter verständnisvoll.
Er hat im Grunde auch nix zu meckern am Hotel Mama, sein Zimmer misst komfortable 17 Quadratmeter, hat Platz für sein Schlagzeug und das riesige Led-Zeppelin-Poster − und kostet ihn nur 50 Euro, die er freiwillig von seinem Azubi-Gehalt abgibt. Dass er in der freien Wildbahn nie wieder so günstig an Wohnraum mit Koch- und Bügelservice rankommt, weiß er, und er genießt die Zeit bei Mutti. Bis zum Herbst − dann will er sich gern mit zwei Bandkollegen eine eigene Wohnung suchen und eine WG gründen. Alleine wohnen wäre für ihn nix, da würde ihm schnell langweilig werden.
„Ich finde, dass ich jetzt alt genug bin, um keine Kompromisse mehr eingehen zu müssen.“
Dorit dagegen schätzt genau diese Ruhe in ihrer Wohnung, die Peter vermutlich in den Wahnsinn treiben würde. Sie teilt sich ihre zwei Räume nur mit Chinchilla Tibo und ist froh, nicht mit irgendwelchen Mitbewohnern über Putzwahn und Lebensmittelschwund diskutieren zu müssen. „Nach der letzten WG, in der ich gewohnt habe, hatte ich das Gefühl, dass es nun genug wäre mit dem Gemeinschaftswohnen“, sagt die 27-Jährige, „und ich finde, dass ich jetzt alt genug bin, um keine Kompromisse mehr eingehen zu müssen.“
Die 45 Quadratmeter, die sie jetzt bewohnt, nennt sie stolz ihr „kleines Reich“. Auch wenn Bad und Küche Mini-Format haben und der Kühlschrank aus Platzmangel ins Wohnzimmer muss, ist dies doch genau der Platz, an dem sie sich wohl fühlen und entfalten kann. Sie hat die Wände in warmem Orange gestrichen, weil das „die Stimmung hebt“, und geheimnisvolle Worte in Sanskrit darauf geschrieben. Eine Wand ziert ein selbst gemaltes Bild einer Yoga-Frau, von der sich Dorit bei ihren eigenen Entspannungsübungen inspirieren lässt. Ein steinerner Buddha wacht in der Ecke über Kerzen und Räucherstäbchen. „Zuhause waren wir früher fünf Leute“, erzählt Dorit, „eine große Familie eben, in der immer was los war. Trotzdem schätze ich jetzt umso mehr die Ruhe, die ich immer dann haben kann, wenn ich sie brauche.“ Aber sie erinnert sich auch, dass es am Anfang schwer war sich daran zu gewöhnen, dass niemand da ist, wenn man nach Hause kommt.
Gründe zum Feiern gibt es in der WG wie Sand am Meer
Mit diesem Problem haben Claudia, Peter, Möhre, Jana und Willi nicht zu kämpfen. Sie bewohnen seit drei Jahren eine 170-Quadratmeter-WG, in der ein ständiges Kommen und Gehen herrscht. Die riesigen Räume waren ursprünglich ein Architektenbüro gewesen, für das Nachmieter gesucht wurden. Peter, Willi und Möhre waren damals sofort begeistert und krempelten mit einer Horde Freunde die Ärmel hoch, denn Bad und Küche mussten noch eingebaut, die komplette Wohnung renoviert werden − dafür gab es ein halbes Jahr mietfrei. Jetzt hat jeder der WG-Bewohner ein 27-Quadratmeter-Zimmer, das Pärchen Claudia und Peter teilt sich gar einen 42-Quadratmeter-Palast. Die Miete für jeden Einzelnen ist trotzdem nicht höher als in anderen WGs auch.
„Nur das Bad mit der einen Toilette ist eindeutig zu klein“, klagt Claudia, „besonders dann, wenn morgens doch mal alle zur gleichen Zeit raus müssen.“ Oder wenn auf Partys Schlange stehen angesagt ist. Gründe zum Feiern gibt es nämlich in der WG wie Sand am Meer: das jährliche Einzugsjubiläum im April, ein Hutzenabend zu Weihnachten, fünf Geburtstage, eine Einzugsparty für das Flur-Klavier, eine Willkommensparty für den neuen Wasserhahn, und und und…
So viel gute Laune muss gut organisiert werden, sonst bricht das Chaos aus. Also zwingen sich die fünf Mitbewohner, einen Putzplan einzuhalten und sich nicht gegenseitig den Pudding wegzufuttern. Dinge wie Klopapier, Putzmittel oder Grundnahrungsmittel werden aus einer Gemeinschaftskasse bezahlt und fürs Telefonieren und Surfen gibt’s eine Flatrate. Jana fetzt das Leben im Rudel: „So habe ich alles auf einmal − meine Ruhe, wenn ich in mein Zimmer verschwinde und viele Leute zum Quatschen, wenn ich in die Küche komme. Perfekt!“
Leidenschaftliche Zuhausehocker
Genauso glücklich sind Doreen und Mirko mit ihrer gemeinsamen Wohnung. Ein Jahr nach ihrem Kennen lernen, genervt vom ständigen Gependel zwischen zwei Wohnungen, entschlossen sich die beiden zusammenzuziehen. „Wir hatten beide vorher schon verschiedene Sachen probiert − WG, alleine wohnen oder mit einem Partner zusammen − also wussten wir, worauf wir uns einlassen“, erzählt Doreen. Die Eckdaten standen schnell fest: „Wir wollten ins Grüne, viel Platz haben, eine Einbauküche und einen Balkon“, erinnert sich Mirko, „und wir wollten zusammen nicht mehr bezahlen als die Summe unserer vorherigen Mieten.“
Die Wahl fiel auf eine große Zweiraumwohnung in Elbnähe, mit einem Garten, großem Balkon und genug Platz für die zwei Katzen des Pärchens. „Wir sind beide leidenschaftliche Zuhausehocker“, gesteht Mirko, „deshalb wollten wir es geräumig und gemütlich haben, mit vielen kuscheligen Ecken.“ Die Einrichtung haben beide mit viel Liebe zum Detail selbst gestaltet: das Wohnzimmer im afrikanischen Stil, ein orientalisches Schlafzimmer und die große Wohnküche mit Requisiten aus dem Mittelalter. Viele Möbel haben sie gemeinsam umgearbeitet, bemalt oder verziert, und damit es nicht zu eintönig wird, wird öfter umdekoriert.
Vom typischen Pärchenstress keine Spur. Fast unheimlich mutet es an, dass Doreen sogar Mirkos herumliegende Socken sympathisch findet. Und er schwärmt wiederum vom gemeinsamen Aufwachen mit ihr. Diskussionsbedarf gab es zuletzt bei der Frage: Fernseher ins Schlafzimmer oder nicht? Nachdem Mirko darauf bestand und Doreen dafür eine Schlafmaske und Ohropax bekam, war auch dieses Problem aus der Welt. Schließlich wollen die beiden ja vor allem eins: sich wohl fühlen und zuhause sein.